Page 7 - 3. Teil: Kratylos hat Recht - Kurt Olbrich
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Vor dem Hintergrund, dass die moderne, auf der Arbitrarität basie-
rende Worttheorie bisher keine Erfolge vorzuweisen hat, d. h., dass
sie nicht nachvollziehbar begründen kann, warum die Dinge so
heißen, wie sie heißen, und dass sie zudem eine Ursprache bisher
nicht gefunden hat; und weiter vor dem Hintergrund, dass der
Sprachexperte Kratylos der Worttheorie von Sokrates bezüglich
der Motivation zustimmt, aber der Ungenauigkeit der Aussage über
die Natur der bezeichneten Dinge deutlich widerspricht, ohne
selb§t aber weitere Erklärungen hierzu zu geben, bleibt
festzustellen, dass es nach wie vor an einer in sich konsistenten
sowie durch empirische Belege gesti.itzten Worttheorie fehlt.
Eine solche Worttheorie würde vorliegen, wenn sys/ematisch ge-
zeigt werden könnte, dass die Buchstaben eine Wortbedeutung
besitzen und dass sie mit dieser Bedeutung in allen Wörtern eine
Wesensaussage über das jeweils bezeichnete Ding generierten. Und
wenn ferner gezeigl werden könnte, dass die Buchstaben mit der
jeweils herausgefundenen Wortbedeutung weltweit in allen
Wörtern aller Sprachen eine Wesensaussage über das bezeichnete
Ding generieren, dann dürfen die Buchstabenwörter sogar als
Wörter der Ursprache anzusehen sein. Es wäre dann das gefunden,
wonach seit Langem gesucht wird: die Ursprache. Heute noch
würde über die Buchstabenwörter die Ursprache gesprochen.
Mit vorliegender Arbeit legt der Verfasser eine solche Theorie vor.
Im ersten Abschnitt wird eine Sprachtheorie entwickelt. Sie geht
davon aus, dass den einzelnen Lauten von den frühen Menschen
eine Wortbedeutung zugewiesen worden ist. Das untersttitzt die
Nomosthese. Anschließend wird die Wortbedeutung der Buchsta-
ben hergeleitet. Dabei zeigt sich, dass die Buchstaben mit ihrer je-
weiligen Bedeutung in den Lautkomplexwörtern in der Tat eine
Aussage über das jeweils bezeichnete Ding generieren, die
Lautkomplexwörter mithin motiviert sind, was die Aussagen von
Kratylos und Sokrates bestätigt. Nomos- und Physeithese sind
demnach kein Widerspruch. Für die Buchstabenwörter gilt die
Nomosthese, für die Lautkomplexwörter die Physeithese.
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