Page 5 - 3. Teil: Kratylos hat Recht - Kurt Olbrich
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Gegenstand der Untersuchung

                                                Zwei grundlegende Fragen sind in der Sprachwissenschaft letztlich
                                                nicht geklärt: erstens die Frage, warum die Dinge so heißen,  wie
                                                sie heißen, und zweitens die Frage, ob die in den vielen Sprachen
                                                verschiedenen  Wörter flir ein und dasselbe Ding auf eine gemein-
                                                same Ursprache zurückgehen und wie sich diese gegebenenfalls
                                                darstellt.

                                                Was die Ursprache  betrifft, sind zwei Forschungsrichtungen zu
                                                erkennen. Die eine versucht die ersten Wörter dadurch zu
                                                entdecken,  dass sie nachempfindet, wie die frtihen Menschen mit
                                                der Sprache begonnen haben könnten,  bspw.,  dass sie sich zunächst
                                                mit Gebärden, Gesten und Mimik verständigt und dann zur
                                                Lautsprache  gefunden häuen. Zur Erkenntnisgewinnung  wird dabei
                                                auch die kindliche Sprachentwicklung  herangezogen.  Die andere
                                                Richtung  ist bestrebt, gegenwärtige Wörter über horizontale
                                                Vergleiche und diachronische Reihen  und dabei unter
                                                Aufstellung  von Lautgesetzen  -   auf möglichst  frühe Wörter
                                                zurückzuftihren,  um darüber letztlich z\  den Ur"wörtern  zu
                                                gelangen.


                                                Letztere Variante  scheint von vomherein  zum Scheitern  verurteilt
                                                zu sein, denn irgendwann  hört jede Rückführung wegen nicht mehr
                                                bekannter  Vorwörter  auf. Deshalb kann a priori erwartet werden,
                                                dass Urwörter  auf diese Weise nicht zrl finden sind. Die
                                                zahlreichen  diesbezüglichen Versuche  haben dementsprechend
                                                lediglich zu Sprachstammbäumen  geführt, die Verwandtschaften
                                                von Sprachen  aufzeigen, nicht aber zu irgendeinem  Urwort und
                                                damit  zur Ursprache.


                                                Der erfolgversprechendere  Weg scheint der erstgenannte zu sein,
                                                der von der Überlegung ausgeht, wie der Mensch von ersten
                                                Anftingen  der Kommunikation zur komplexen Lautsprache  gelangt
                                                sein könnte. Dieser  Weg wird auch von Sokrates  in Platons Dialog
                                                ,,Kra§dos"  beschritten (siehe Kurt Olbrich, Platon, Kratylos,  1.
                                                Teil: Übersetzung, griechisch & deutsch, Krummhörn  2015).
                                                Sokrates  kommt  dort in seiner Urwortheorie  zu dem Ergebnis,  dass


                                                                                                             9
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